Archiv der Kategorie: Kommentare Funktionstauglichkeit

Hoffnungs-Träger nachhaltige Sanierung

Kommentar von Hildegund Mötzl,  Institut für Bauen und Ökologie IBO

„Vom 30. November bis 11. Dezember 2015 soll in Paris die neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung getroffen werden. Der Gebäudesektor ist in vielen Ländern einer der Hoffnungsträger, in dem Treibhausgasemissionen noch mit relativ einfachen Energieeffizienzmaßnahmen verringert werden können. Gebäude verursachen aber nicht nur Treibhausgasemissionen. 40 Prozent des Energieverbrauchs, 60 Prozent der Abfälle, 50 Prozent des gesamten LKW-Transports fallen hier an. 15 Hektar Boden verschwinden täglich in Österreich unter Bau- und Verkehrsflächen. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung sollte in absehbarer Zukunft die Zahl der Gebäude nicht mehr steigen; Neubauten dürfen zunehmend nur noch den Bestand verdichten oder abgerissene Gebäude ersetzen. Nachhaltig Bauen bedeutet daher vor allem nachhaltig Sanieren.

Für ein energieautonomes Österreich 2050 muss der derzeitige Heizenergieverbrauch um ca. 70 Prozent gesenkt werden. Die Sanierung mit Passivhauskomponenten führt zu Einsparungen des Heizenergiebedarfs von 75 bis 90 Prozent. Konventionelle Sanierungen realisieren meist nicht die Hälfte davon und zementieren einen suboptimalen Zustand für viele Jahre ein. Die hochwertige Sanierung garantiert dagegen bauphysikalische Sicherheit, hohen Komfort und vermeidet typische Probleme einer konventionellen Sanierung wie die Schimmelbildung. Und dies bei nur geringfügig höheren Kosten, wenn die Sanierung bei ohnehin anfallenden Renovierungsarbeiten durchgeführt wird.

Es gibt inzwischen umfangreiches Wissen über die Althaussanierung mit Passivhauskomponenten. Im Frühjahr 2016 wird im Birkhäuser Verlag der Passivhaus-Sanierungsbauteilkatalog des IBO erscheinen, in dem bestehende Sanierungslösungen systematisch aufbereitet und nutzbar gemacht werden. Ein wichtiger Bestandteil in der Sanierung ist die Wärmedämmung der Gebäudehülle. Für die Fassade werden aus Kostengründen häufig Wärmedämmverbundsysteme aus Polystyrol eingesetzt. Doch es gibt weniger umstrittene Alternativen für diese Dämmstoffe – nicht alle als Wärmedämmverbundsystem geeignet, aber in vorgehängten Fassaden einsetzbar, die sich ebenso für die Sanierung eignen wie zahlreiche erfolgreiche Beispiele zeigen. Für Beschichtungen, Verklebungen und Abdichtungen stehen auch für die Sanierung emissionsarme Baumaterialien zur Verfügung, welche die Raumluft und Umwelt nicht belasten. Für nachhaltiges Bauen ist außerdem die Integration von energiegewinnenden Systemen wie Photovoltaik oder Solarthermie in den Bestand relevant. In diesem Bereich sind rasante Entwicklungen an Komponenten und Demonstrationsprojekten zu verzeichnen (nachzulesen u.a. im Weißbuch 2015 „Nachhaltiges Bauen in Österreich“ zum „Haus der Zukunft Plus“-Forschungsprogramm).

Dass Nachhaltiges Bauen und Sanieren funktioniert, wurde in vielen Pilotprojekten nachgewiesen. Auf der Basis der vergangenen Jahrzehnte muss man allerdings auch erkennen, dass die Umsetzungsgeschwindigkeit in der Breite deutlich geringer ist.“

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Messungen bestätigen die Erwartungen in der Praxis

Kommentar von Günter Lang, Passivhaus Austria

„Für Passivhäuser liegen langjährige Erfahrungen und statistisch gesicherte Messergebnisse von tatsächlichen Verbrauchswerten vor. Mit diesen Ergebnissen kann die Zuverlässigkeit des Passivhaus-Konzeptes beurteilt werden. In einer Studie vom Passivhaus-Institut Dr. Wolfgang Feist vom September 2015 wurden die Messwerte von über 1.800 Wohnungen im Passivhaus-Neubau und ca. 170 Wohnungen in Sanierungen mit Passivhaus-Komponenten genau untersucht. Dabei zeigte sich: Das Passivhaus-Konzept führt in der Praxis nachweislich und reproduzierbar zu einer sehr hohen Heizenergieeinsparung, die gegenüber dem alten Gebäudebestand etwa 90 Prozent und gegenüber den gesetzlichen Anforderungen an Neubauten immer noch etwa 80 Prozent beträgt. Diese Einsparungen sind durch statistisch signifikante empirische Untersuchungen erwiesen und in einer großen Zahl von Projekten bestätigt. Auch die höchsten nutzungsbedingten Einzelverbrauchswerte in Passivhäusern liegen noch deutlich niedriger als die geringsten in gewöhnlichen Neubauten.

Für die Beurteilung eines energetischen Baustandards muss der Verbrauch immer für eine ausreichende Anzahl von baugleichen Häusern gemessen werden, um nutzungsbedingte Einflüsse heraus zu mitteln und ein Vergleich der Gebäudequalität möglich wird. Der Messwert nur eines Gebäudes ist diesbezüglich nicht aussagekräftig. Verschiedene Nutzer haben in baugleichen Häusern häufig deutlich unterschiedliche Verbrauchswerte: Abweichungen von ±50 Prozent vom Mittelwert sind dabei die zu erwartende Normalverteilung. Das gilt für alle Energiestandards (Altbau, Niedrigenergiehaus, Passivhaus,…). Die bedeutendste Ursache besteht in unterschiedlichen Raumtemperaturen in der Heizperiode.

Kein „Performance Gap“ beim Passivhaus

Die Messergebnisse stimmen in den Passivhaus-Projekten sehr gut mit den zuvor berechneten Bedarfswerten gemäß PassivhausProjektierungPaket (PHPP) überein. Das Bilanztool eignet sich hervorragend, um verlässlich den mittleren Heizwärmebedarf schon in der Planungsphase zu prognostizieren. Dies gilt für Neubauten wie auch für Sanierungen. Eine Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit (sog. „Performance Gap“) ist beim Passivhaus-Standard nicht festzustellen.

Auch Sanierungen auf EnerPHit- oder Passivhaus-Standard können erfolgreich umgesetzt werden. Die Auswertung der Heizwärmeverbrauchswerte zeigt, dass mit Sanierungen nach dem EnerPHit-Standard verlässlich hohe Einsparungen realisiert werden. Die Heizwärmeverbrauchswerte liegen im Bereich vom Passivhaus-Niveau bis rund 26 kWh/(m²a), womit Einsparungen bis tatsächlich 95 Prozent realisiert werden.

Als Schlussfolgerung belegen die Messungen in Passivhaus-Projekten:

Die einzelnen Maßnahmen – Wärmedämmung, Dreischeiben-Wärmeschutz-Verglasung, Luftdichtheit und Wärmerückgewinnung – sind wirksam.
Abweichungen von mehr als etwa 1 kWh/(m²a) wären in den Mittelwerten bereits erkennbar, sie treten aber nicht auf.
Das Berechnungsverfahren nach PHPP und die verwendeten Randbedingungen bewähren sich in der Praxis. Die Abweichungen zwischen der rechnerischen Bilanz und den Messwerten sind sehr gering. Der oft beklagte ‚Performance Gap‘, also eine Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, existiert im Passivhaus nicht.
Zusätzliche Wärmeverluste, wie Wärmeübergabeverluste oder hohe Fensterlüftungsverluste können nach den vorliegenden Verbrauchsstatistiken keinen entscheidenden Einfluss haben; sie müssen innerhalb der mit ±1 kWh/(m²a) bestimmten Grenzen liegen und sind daher vernachlässigbar.“

Quelle: Studie „Die Energieeffizienz des Passivhaus-Standard: Messungen bestätigen die Erwartungen in der Praxis“, Søren Peper; Passivhaus Institut, Wolfgang Feist, Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften, Universität Innsbruck, September 2015
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Traditionelle Bauweise und Nachhaltigkeit

Kommentar von Johannes Kislinger,  Innovative Gebäude 

„Alt und Neu müssen einander nicht zwingend im Weg stehen. Was die Bautradition und Nachhaltiges Bauen betrifft gibt es kaum größeres Potential für Konflikte. Während der Bauprozess nach altem Muster von Generation zu Generation ohne gröbere Kritik und mit nicht weiter nennenswerten Verbesserungen weitergegeben wurde, fordert Nachhaltiges Bauen dem Bauherren und auch den Ausführenden einiges ab. Alles, was als bisher üblich und verlässlich galt wird hinterfragt: Nachhaltiges Bauen geht an den Ursprung zurück, setzt dort an, wo Material entsteht – lange bevor sich Routinen über Jahrhunderte festgesetzt und das Neudenken verhindern haben.

Gleichermaßen sind beim Nachhaltigen Bauen Handwerk und Technik gefordert, das Einfachste mit dem höchsten Stand der Technik zu vereinen. Einfache, nachhaltige Materialien werden so zu dem hochwertigsten veredelt, was die Errungenschaften von Wissenschaft und Forschung unsere Zeit bieten können. Während man in der traditionellen Bauweise vermeintlich „auf Nummer Sicher geht“ – weil es „ja immer schon so gemacht worden ist“ – ob es auch tatsächlich gut ist wird nicht hinterfragt – dabei ist Bauen keine Glaubensfrage.

Die Herausforderung besteht darin, die traditionelle Bauweise mit vermeintlicher Nachhaltigkeit zu kombinieren: Als wollte man in eine High-Tech Maschine nach altem Muster ein mit grobem Werkzeug hergestelltes Zahnrad einsetzen – es kann nicht funktionieren, weil die einzelnen Komponenten nicht aufeinander abstimmbar sind. Scheitern ist unter diesen Voraussetzungen vorprogrammiert.

Was bei einem Uhrwerk jedem einleuchtet soll im Bauwesen nicht gelten? Was nützt es, hochwärmegedämmte Fenster in ein undichtes Gebäude einzusetzen, dann die Außenwände mit billigstem Materialien zu dämmen, die Lüftung einzusparen um letzten Endes einen Berg Sondermüll zu produzieren, dessen Entsorgung nicht nur teuer sondern auch gefährlich ist, wenn der Lebenszyklus des Gebäudes endet? Nachhaltig bauen heißt zu den Anfängen zurückzukehren: Welche Materialien sind nachhaltig, das heißt aus erneuerbaren Energiequellen, rezyklierbar, gesund und natürlich – also ökologisch? Viele Techniken wurden im Laufe der Jahrhunderte entwickelt – diese Fertigkeiten macht sich die Nachhaltige Baubranche zunutze.

Unserer Leuchtturmprojekte beweisen, dass ein grundlegendes Verständnis für die Zusammenhänge und Hintergrundwissen auch für den Auftraggeber unerlässlich ist. Sind die Grundlagen verstanden worden ist es ein Leichtes, sich von vorgefassten Meinungen und niemals hinterfragten Traditionen im Bau zu trennen – was bleibt ist die Begeisterung für Nachhaltiges Bauen und der Wille, es wirklich „richtig“ zu machen.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen hochwertigen Gebäuden und Produktherstellern, Planern, Baustoffen und Produktionstechniken. Nachhaltigkeit bedeutet auch, Bauen nicht nur transparent darzustellen sondern sie vor allem nachvollziehbar zu machen. Das führt zu gegenseitiger Wertschätzung aller Beteiligten und zu besseren Ergebnissen. Eine Erweiterung der Aufgabenstellung (z.B. nicht nur Fassadendämmung alter Gebäude) generiert zusätzliche Chancen, um mit Missverständnissen, die aus der traditionellen Bauweise herrühren aufzuräumen.“

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Das Prinzip Suffizienz

Kommentar von Renate Hammer,  Institute of Building Research & Innovation

„Das Planet Boundaries Modell nach Rockström listet und bewertet Umweltveränderungen, die auf Grund des heutigen Erkenntnisstandes als Bedrohung für das globale Ökosystem identifiziert wurden. Es sind dies geordnet nach der Schwere der Belastung: Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Stickstoff- und Phosphorkreislauf, Süßwasserentnahme, Landnutzungsänderung, Versauerung der Ozeane, stratosphärischer Ozonabbau, atmosphärische Aerosoldispersion und chemische Verseuchung.

Das Bauen und die damit in Zusammenhang stehende Raumnutzung verursachen jedenfalls einen Verlust an Biodiversität durch die Zerstörung zusammenhängender Lebensräume und leisten dem Klimawandel durch Emissionen aus der Gebäudeerrichtung, dem Gebäudebetrieb und dem induzierten Verkehr Vorschub. Gleichzeitig beobachten wir trotz vehementen Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft und trotz Raubbau, dass sich immer größere Gruppen der österreichischen Bevölkerung adäquaten Wohnraum nicht leisten können. Die Prioritäten bei der Wohnungswahl haben sich im Lauf der letzten Jahre kontinuierlich verändert und zunehmend auf finanzielle Aspekte verengt.

In dieser hochschwierigen Ausgangslage ist und bleibt es die ureigene Aufgabe von PlanerInnen und ArchitektInnen Lebensräume zu gestalten, ein Bild dessen zu skizzieren was entsteht und dadurch Verantwortung zu übernehmen. Planung bestimmt entscheidend über den Einsatz der Ressourcen Boden, Energie, Material und Emissionen, legt fest wie viel wir wovon jetzt und in Zukunft brauchen und damit in hohem Maße welche Lebensqualität wir langfristig sicherstellen können. Eintreten für nachhaltige Architektur und einen nachhaltigen Umgang mit Raum ist daher eine der gesellschaftsrelevanten Aufgabe der Gegenwart.

Welchen Strategien folgen wir, um langfristige Zukunftsfähigkeit zu erreichen? Die von uns derzeit am häufigsten angewandte Strategie ist die Effizienzsteigerung, also die Erzielung des gleichen Ergebnis mit weniger Aufwand. In einer Wachstumsgesellschaft reicht das gleiche Ergebnis jedoch nicht. Daher steht der Gesamteinsparungserfolg, den wir durch Effizienzsteigerung im Bauen erzielen konnten nicht im Verhältnis zu den umfassenden Anstrengungen. Effizienz ist ein kluges und im Sinne der Nachhaltigkeit unabdingbares Handlungsprinzip, aktuell jedoch konterkariert durch unser stetes Streben nach Mehr.

Es braucht einen Paradigmenwechsel, – die Frage lautet nicht, wie viel, sondern was brauchen wir? Das Prinzip heißt Suffizienz, Angemessenheit. Hier beginnt die Herausforderung für PlanerInnen. Wann haben wir die Muster und Vorgaben nach denen wir unsere Wohnungen, Büros, Schulen und Kindergärten entwickeln das letzte Mal kritisch dahingehend überprüft, ob sie abbilden was wir wirklich brauchen?

Ein paar Dinge lassen sich dazu statistisch festmachen: Den stärksten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat die Gesundheit, und viel Besitz macht nicht viel glücklicher als genug Besitz. Stellen wir uns also eine Lebensumgebung vor, die uns vor allem gesund hält, und die uns genügt. Allzu konkret mag die erste Skizze nicht ausfallen, weil es nicht üblich ist Bauaufgaben und Raumordnungsfragen unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten. Um die Skizze in ein konkretes Bild und schließlich in gestaltete Umwelt umsetzen zu können, gilt es interdisziplinäres oft evidenzbasiertes Wissen zusammenführen und Innovation durchzusetzen.

Über das Prinzip der Suffizienz hinaus weist die Subsistenz, die besagt, dass souverän sein wird, wer wenig braucht und von diesem Wenigen einen großen Teil selbst oder im Umfeld des eignen Wirkungskreises herstellt. Subsistenz steht für die Möglichkeit der Eigenproduktion, partielle Selbstversorgung und Steigerung der Unabhängigkeit. Sie mündet nicht zwangsweise in Autarkie sondern ermöglicht den Austausch im bisher denküblichsten Fall etwa von vor Ort produzierter Energie, aber auch von Lebensmitteln oder Dienstleistungen.

Dadurch wird die Resilienz, beschrieben als Robustheit und Widerstandsfähigkeit, als Toleranz gegenüber Störungen und Veränderungen erhöht. Resilienz kann konkret auf das Gebaute im Zusammenspiel mit dem Nutzer selbst angewendet werden, etwa durch die Anpassung der aktuell zu eng gesteckten Klimakomfortzone im Innenraum an die Erfordernisse der menschlichen Physiologie und Gesundheit. Auch der Einsatz langfristig nutzbarer Haustechnik und Regelungssysteme sowie die Wahl entsprechender Materialien und Konstruktionen oder die Entwicklung vielfältig bespielbarer Raumkonfigurationen steigern die Resilienz.

Schließlich verlangt das Prinzip der Konsistenz, dass sich die Aufwendungen für das Bauen, für Nutzung und Betrieb von Gebäuden in übergeordnete natürliche Systemen einfügen, etwa durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe oder ausreichend regional verfügbarer Materialien sowie den Einsatz erneuerbarer Energien.

Nachhaltigkeit bei der gestaltenden Weiterentwicklung unserer Architektur und unserer Lebensräume lässt sich durch die kombinierte konsequente Umsetzung von zumindest diesen fünf Strategien Effizienz, Suffizienz, Subsistenz, Resilienz und Konsistenz erreichen. Die nötige Reduktion heutiger Treibhausgasemissionen um 80 Prozent ist dafür eine veranschaulichende Maßzahl.“

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