Die ökologische & ökonomische Dimension von Zersiedelung

Entwicklung seit 1971

Die Studie „Einfamilienhaus und verdichtete Wohnformen – eine Motivenanalyse“ zeigt die bevorzugte Wohnform der Österreicher auf: Zwischen 1971 und 1980 wurden 87 Prozent des für Wohnzwecke verbauten Landes in Österreich für rund 260.000 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern in offener und gekuppelter Bauweise verbraucht. Das waren 49 Prozent aller in dieser Zeit errichteten Wohnungen in Österreich. Im selben Zeitraum entstanden nur 32.000 Wohnungen im verdichteten Flachbau. Das entspricht nur 6 Prozent aller Wohnungen und nur 3 Prozent des gesamten Baulandverbrauchs.
1991 machten die Ein- und Zweifamilienhäuser 45 Prozent sämtlicher Wohnungen (49 Prozent einschließlich der landwirtschaftlichen Gebäude) aus. Ihr Flächenanteil betrug hingegen fast das Doppelte: 83 Prozent, bzw. 85 Prozent des Nettobaulandes für Wohngebäude werden von Ein- und Zweifamilienhäusern beansprucht.

Aktuelle Situation

Daran hat sich auch nach aktuellsten Daten der Statistik Austria (Stand 2011) nicht viel geändert: In 1.973.979 heimischen Wohngebäuden und insgesamt 4.300.049 Wohnungen finden sich 2.012.192 Wohneinheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern (1.727.129 Gebäude) und damit rund 46 Prozent. Der mehrgeschossige Wohnbau beschränkt sich auf 175.910 Gebäude (3-10 Wohnungen) und 961.237 Wohneinheiten sowie 70.940 Gebäude (11+ Wohnungen) und 1.326.620 Wohneinheiten.
Von 2001 bis 2014 – so die Präsentation „Wie geht’s Österreich 2015“ der Statistik Austria – nahm die allgemeine Flächeninanspruchnahme um 22 Prozent zu, Bevölkerung um 6,1 Prozent.

 

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Stand der Zersiedelung

In einer Analyse des Österreichischen Institutes für Raumplanung ÖIR 2011 zeigt sich sehr deutlich die Siedlungsstruktur Österreichs: Rund 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung lebt in Siedlungseinheiten (mindestens 500 Einwohner, Gebäude maximal 200 Meter von einander entfernt). Aber: Ohne den großen Landeshauptstädten leben nur rund 46 Prozent in Siedlungseinheiten, die Siedlungseinheiten weisen sehr unterschiedliche Dichten auf – von 600 bis 25.000 Einwohnern pro Quadratkilometer, und: 24 Prozent aller Gemeinden weist keine Siedlungseinheit auf – insgesamt 578 Gemeinden mit knapp 500.000 Einwohnern.
Anhand der Grafik des ÖIR lassen sich die Zersiedelungszonen Österreichs ausmachen: Besonders betroffen sind Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und das Burgenland.

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Entstandene Probleme

Die umfangreichen Verkehrsinvestitionen der letzten Jahrzehnte im Straßenbau und in den Großstadt-Ballungsräumen auch in den öffentlichen Verkehr ermöglichen einer großen Zahl von Menschen die Realisierung des Wunschbildes „Arbeiten in der Stadt – Wohnen auf dem Land“. Die Studie „Einfamilienhaus und verdichtete Wohnformen – eine Motivenanalyse“: Der Siedlungsflächenverbrauch wird dadurch laufend erhöht, der Berufsverkehr erzwingt laufend weitere Verkehrsinvestitionen, während auf den öffentlichen Verkehr hin orientierte Gestaltung der Stadtentwicklung seitens der Umlandgemeinden unterbleibt.
Die Fortführung dieser thesenartigen Kausalkette zeigt auf einen Boom an flächenfressenden und verkehrserzeugenden Einkaufszentren am Stadtrand, auf unerfüllbare Ansprüche an das öffentliche Verkehrssystem, einen kollabierenden Individualverkehr mit hohen Schadstoffbelastungen der Umwelt und eine Vergeudung öffentlicher Mittel durch eine unökonomische Nutzung der Infrastruktur.

Ökologische und ökonomische Bewertung

Schon aus früheren Untersuchungen bestätigt sich die gewonnene Erkenntnis, dass die Infrastrukturkosten je Einwohner abnehmen, je dichter die Besiedlung ist. Dabei liegen die Unterschiede eher in der Gebäudetypologie (Einfamilienhaussiedlungen, Reihenhaussiedlung bis zu Geschosswohnbauten) sowie in der örtlichen Situierung der Neubaugebiete zur bestehenden Infrastruktur begründet als in der großräumigen Lage (Agglomeration – Kleinzentrum – Ländliche Gemeinde).

 

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Es zeigt sich, so die Studie „Zu EnergieRelevanten Aspekten der Entstehung und Zukunft von Siedlungsstrukturen und Wohngebäudetypen in Österreich“, dass vor allem Streusiedlungen einen hohen Einsatz an Grauer Energie erfordern und diese im Besonderen für die Errichtung von Straßen und Infrastrukturleitungen aufgewandt wird. Bei Einfamilienhäusern in Streusiedlungslage
übersteigt der Energiebedarf für die Errichtung der Infrastruktur den Energiebedarf für die Errichtung des Gebäudes deutlich. Bei den beiden Mehrfamilienhaustypen (drei und sieben Geschoße) sind die Werte für den Bereich Straße & Leitungen in etwa gleich hoch.
Inkludiert man den Energieaufwand für Instandhaltungsarbeiten und rechnet die Graue Energie auf 100 Jahre, werden die Unterschiede zwischen den Wohnsiedlungsformen noch deutlicher: Das Einfamilienhaus in Streulage kommt auf 1178.471 kWh/100 Jahre, Einfamilienhaus 702.331 kWh / 100 Jahre. Wohnbau dreigeschoßig schlägt mit 276.295 kWh zu Buche, der siebengeschoßige mit 264.089 kWh. Mehrfamilienhäuser (drei und sieben Geschoße) benötigen demnach weniger als 25 Prozent der für Einfamilienhäuser in Streulage aufgewandten Grauen Energie.

Im Jahr 1970 war der Energieverbrauch im Betrieb so hoch, dass die Graue Energie zur Herstellung mit 7 bis 19 Prozent des Gesamtenergiebedarfs vergleichsweise unbedeutend war. Dagegen betrug der Anteil an Grauer Energie im Jahr 2010 zwischen rund 24 und 48 Prozent des Gesamtenergiebedarfs bzw. 50 Prozent bei Gebäuden in Passivhausbauweise und ist damit nicht vernachlässigbar. Auch absolut gesehen ist die Graue Energie für alle Gebäudetypen 2010 deutlich höher als 1970. Für Einfamilienhäuser in Streulage ist der Bedarf an Grauer Energie etwa gleich hoch wie für den Betrieb. Zusätzlich dazu ist bei Einfamilien-Passivhäusern der Gesamtenergiebedarf, bedingt durch den Mehraufwand in der Erschließung (es gibt keinen „Passiv-Straßenbau“), höher als für Mehrfamilienwohnhäuser nach derzeit gefordertem Mindeststandard.

Drei Szenarien für 2050

Zurück zum Österreichischen Institutes für Raumplanung ÖIR: Dieses hat in drei Szenarien Prognosen bis 2050 angestellt. Szenario 1 behält den Status quo bei, mit Ansiedelung auch außerhalb der Siedlungseinheit, gleichbleibenden Flächenverbrauch für neue Einwohner sowie schleichende Entkernung der Ortsgebiete. Bei einem ambitionierten Szenario 2 wird Zersiedelung vermieden, der Flächenverbrauch leicht reduziert und die Ortskerne entwickeln sich durchschnittlich. Das sehr ambitionierte Szenario 3 bietet Nachverdichtung bei keiner weiteren Zersiedelung, reduzierten Flächenverbrauch sowie Stärkung der Ortskerne auch in schrumpfenden Gemeinden.
Fazit: Im Vergleich zum Beibehalten der gegenwärtigen Entwicklung des Szenario 1 bringt Szenario 2 bis 2050 160.000 Einwohner weniger außerhalb von Siedlungseinheiten, Szenario 2 bringt 200.000 weniger. Das mag nun nicht nach viel klingen, betrachtet man jedoch die erheblichen volkswirtschaftlichen Mehrkosten für Einfamilienhäuser in Streusiedelungen durch Infrastrukturkosten – rund 140.000 Euro alleine für Straßenbau und Leitungen – ergeben sich bei vier Bewohnern pro Einfamilienhaus mindestens 5,6 bis 7 Milliarden Euro Ersparnis – ohne Investitionen in öffentlichen Verkehr und langfristige Umweltschäden durch erhöhtes Verkehrsaufkommen einzukalkulieren.
Gefordert sind laut ÖIR politische Maßnahmen wie ein Stopp für Streusiedlungen, strenge Siedlungsgrenzen, Rückwidmungen, verdichtete Wohnformen, keine Ausweisung von Verkaufsflächen am Ortsrand, eine Attraktivierung der Ortskerne sowie Vorgaben der Erdgeschossnutzung.

WIFO-Studie: umweltschädliche Förderungen

Die WIFO-Studie „Subventionen und Steuern mit Umwelt-Relevanz in den Bereichen Energie und Verkehr“ zeigt es auf: Von den bis zu 4,7 Mrd. Euro an umweltschädlichen Subventionen erhält der Bereich Wohnen ein Fördervolumen von 390 bis 790 Mio. Euro pro Jahr. Diese fördern den Neubau von Eigenheimen, Verkehrsflächen oder begünstigen die Bereitstellung bzw. Nutzung von Abstellplätzen. Doch eigentlich sind die Subventionen in diesen Bereich noch deutlich höher, werden die Förderungen aufgrund von Zersiedelung (z.B. Pendlerförderung mit rund 1,4 Mrd. Euro) mit eingerechnet.

Negative Auswirkungen v.a. durch Zersiedelung

Aus der WIFO-Studie: Trotz der zunehmenden Ökologisierung des Wohnungsneubaus – vorwiegend hinsichtlich der Energieeffizienz und Emissionsvermeidung – verursacht der Wohnungsneubau einen hohen Ressourcenverbrauch und trägt zum Flächenverbrauch bzw. der Flächenversiegelung bei. Ein wesentliches Ziel einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung sollte daher die Verringerung der Inanspruchnahme neuer Flächen sein. […] Zusätzlich zum Flächenverbrauch für den Wohnbau selbst, sind die Siedlungsstrukturen auch ein wesentlicher Einflussfaktor für das Verkehrsaufkommen und die daraus resultierenden ökologischen Effekte (Schadstoffemissionen, Einschränkung der Bodenfunktionen, Auswirkungen auf Habitate) und Lärm. Die Zersiedelung und räumliche Trennung verschiedener Funktionen (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeitaktivitäten) fördert das Verkehrsvolumen. Ohne ausreichende Verfügbarkeit und Frequenz des öffentlichen Verkehrs fördert die räumliche Trennung insbesondere den motorisierten Individualverkehr. […] Die Wohnbauförderung trägt insofern zur Erhöhung der Verkehrsleistung bei, als sie einerseits nach wie vor den Fokus auf den Neubau legt. Andererseits fehlt die Verknüpfung mit der Verkehrspolitik bzw. die Koppelung der Förderungsvergabe an eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr. […] Insgesamt müssten zur Reduzierung der negativen (Umwelt-)Effekte der Zersiedelung verschiedene Maßnahmen und Regelungen, überdacht bzw. klimafreundlich reformiert werden, die zersiedelungsfördernd bzw. verkehrsinduzierend wirken. Die relevanten Regelungen umfassen neben fiskalischen Instrumenten wie der Wohnbauförderung oder dem Pendlerpauschale auch die Raumplanung in Richtung einer Energieraumplanung, wie in der Energiestrategie Österreich hervorgehoben oder andere Ansätze der aktiven Bodenpolitik auf Gemeindeebene.