Gesundes Bauen: Plädoyer für den Außenraum

Kommentar von Peter Holzer, IPJ Ingenieurbüro P. Jung

„Nachhaltig“ bezeichnet die Qualität, auf lange Sicht gut und förderlich zu sein, Möglichkeiten zu erweitern statt zu verengen. Allein daraus fällt die Antwort eindeutig aus: Nachhaltiges Bauen und Sanieren ist per se gesund, weil umgekehrt nur gesundes Bauen und Sanieren auf lange Sicht förderlich und gut ist und Möglichkeiten – persönlich wie gesellschaftlich – erweitert. Wenn ein Baustandard also ungesund ist, dann kann er gar nicht nachhaltig sein. Soweit, so einfach.

Die Frage kann allenfalls lauten, ob sich Widersprüche innerhalb des nachhaltigen Bauens auftun zwischen der Qualität der Gesundheit und anderen Zielen: Luftdichtigkeit etwa. Ist die ungesund? Sicher nicht, solange für ausreichend Frischluft gesorgt wird. Denn dass die Frischluft gesünder ist, wenn sie durch Spalten in den Bauteilen anstatt durch Fenster oder Lüftungsöffnungen ins Innere gelangt, ist blanker Unsinn. Unbeherrschbare Zugluft kann ungesund sein. Bauteile, die aus Feuchteschädigung ihre statische Funktion einbüßen sind sogar lebensbedrohlich. Beides spricht für Luftdichtheit. Nachhaltig.

Hochwertiger Wärmeschutz etwa? Auch er kann auch nur mit allergrößtem Mutwillen in das Eck der Gesundheitsgefährdung gedrängt werden. Ob mit der warmen Decke oder mit einer warmen Gebäudehülle: Wenn’s draußen kalt ist, sind sie beide höchst gesundheitsförderlich. Gegenüber bloß der warmen Decke im kalten Haus hat die warme Hülle den unschätzbaren Vorteil, dass sie ein starker Beitrag wider die Gefahr feuchter und schimmliger Wände ist. Beide sind nämlich verlässlich gesundheitsgefährdend und sind häufige Begleiter in allen Kategorien von Gebäuden, neuen wie alten, bloß nicht in nachhaltigen.

Was aber tatsächlich ungesund sein kann, sind die Folgen einer leichtfertigen Gleichsetzung von Komfort mit Gesundheit. Basis für gesundes Leben ist mit Sicherheit eine angemessene Vielfalt der Einflüsse, an die wir evolutionär angepasst sind, von der Ebene der Sinneseindrücke bis hinunter zu intrazellulären Prozessen. Im biologischen Sinn ist es gesund, sich bisweilen, und angesichts unseres Innenraum dominierten Lebensstils eher öfter, dem Außenraum zu exponieren, mit seiner vollspektralen Sonnenstrahlung, mit seinen wechselnden Temperaturen, mit seinem Luftzug und auch mit seinen Sporen, Pollen und Aerosolen. Bauen und Sanieren, welches das nicht unterstützt, ist jedenfalls nicht nachhaltig, und sei es noch so komfortabel oder energieeffizient. Und sollte der Außenraum schon so kaputt sein, dass man ihn weder hören noch sehen noch riechen will, dann ist dringend am dessen Verbesserung zu arbeiten, statt am Grad der Abschottung. Im sozialen Sinn ist es gut, einander wahrzunehmen. Abschottung führt, vielfach erwiesen, zu den sozialen Massenphänomenen wie Vereinsamung, Egoismus oder Xenophobie. Ich erneuere also das Plädoyer für Häuser, die einen Teil des Lebensraums in den Außenraum bringen, oder in einen gut gestalteten Zwischenraum. Und ich hinterfrage etwa das Maß der Schallschutzanforderungen innerhalb und zwischen Wohneinheiten. Denn nur mit Menschen, die ich wahrnehme, trete ich in sozialen Austausch. Den Nachbarn nicht mehr zu hören und zu sehen, mag ich als komfortabel empfinden, im sozialen Sinn gesund ist es verlässlich nicht. Also auch nicht nachhaltig. Bauen wir unsere Häuser also unbedingt klimaschützend und ressourceneffizient, weil das die notwendige Basis für die bloße Chance auf eine wünschenswerte Zukunft der Gesellschaft ist. Und bauen wir sie mit der gleichen Empathie gesundheitsförderlich, also aus sich heraus behaglich und gleichzeitig dem Außenraum angebunden. Wenn nur eins davon fehlt, fehlt die Nachhaltigkeit ganz.“

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