Nachhaltig Bauen & Sanieren ist ungesund – oder doch nicht?

Mit Ergebnissen aus neuesten Studien sowie Fach-Kommentaren von:

Renate Hammer, Institute of Building Research & Innovation
Peter Holzer, IPJ Ingenieurbüro P. Jung
Wolfgang Kradischnig, IG Lebenszyklus Hochbau
Günter Lang, Passivhaus Austria
Robert Lechner, Österreichisches Ökologie Institut
Franziska Trebut, Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik ÖGUT

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Kurzfassung:

Gesundheitsförderndes Bauen

„Wenn wir Zukunft positiv gestalten wollen, impliziert das den Beitrag des Bauens zu einer gesunden Lebensweise. Nachhaltiges Bauen und Sanieren muss gesund sein, – ansonsten würde „Etikettenschwindel“ betrieben“, stellt Renate Hammer, Institute of Building Research & Innovation, klar. Sie plädiert für ein gesundheitsförderndes Planen – , wie auch Peter Holzer, IPJ Ingenieurbüro P. Jung: „Bauen wir unsere Häuser unbedingt klimaschützend und ressourceneffizient, weil das die notwendige Basis für die bloße Chance auf eine wünschenswerte Zukunft der Gesellschaft ist. Und bauen wir sie mit der gleichen Empathie gesundheitsförderlich, also aus sich heraus behaglich und gleichzeitig dem Außenraum angebunden. Wenn nur eins davon fehlt, fehlt die Nachhaltigkeit ganz.“

Thermischer Komfort & Raumluft

Wer von Wohlbefinden im Wohnraum spricht, kommt am Thema thermischen Komfort nicht vorbei. Energieeffiziente Gebäude sind klar im Vorteil: In ihnen kann hoher Komfort, Behaglichkeit und angenehmes Wohnklima bei minimalem Energieaufwand erreicht werden. Die Studie „Behagliche Nachhaltigkeit – Untersuchungen zum Behaglichkeits- und Gesundheits-Wert von Passivhäusern“ analysiert die wesentlichen Faktoren für gesundes Wohnen: „Im Passivhaus bedingen die hohen Innenoberflächentemperaturen im Winter ein Strahlungsklima, welches als sehr behaglich empfunden wird. Diese hohe Behaglichkeit wird bei Häusern, die nicht mit dem Energiestandard eines Passivhauses errichtet sind, nur mit Heizkörpern unter dem Fenster, einer Wandheizung oder einer Fußbodenheizung erreicht “

Ähnliches gilt für die Raumluft: Auch sie hat starken Einfluss auf die Gesundheit des Menschen. Die Studienautoren: „Ohne Austausch mit der Außenluft steigt die CO2 -Konzentration in bewohnten Räumen schnell an. Ab bestimmten Konzentrationen können Befindlichkeitsstörungen wie Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Unwohlsein und Kopfschmerzen sowie Beeinträchtigungen von Leistungsfähigkeit auftreten. Eine Zusammenschau von Studien zu gesundheitlichen Wirkungen von Kohlendioxid zeigt, dass sich mit abnehmender CO2-Konzentration die sogenannten Sick-Building- Syndrom-assozierten Beschwerden (z.B. Reizungen und Trockenheit von Schleimhäuten, Müdigkeit, Kopfschmerzen) ebenfalls verringern.“

Vorteile kontrollierte Wohnraumlüftung

„Ohne Lüftungsanlage müssten zumindest alle zwei Stunden die Fenster kurz geöffnet werden, um die CO2 -Rate auf Werte unter den hygienischen Grenzwert (1.500 ppm) zu senken, ein in der Praxis – vor allem während der Nacht – undurchführbares Unterfangen“, erklärt die Studie. Zusätzlich sorgt die manuelle Fensterlüftung im Winter für einen erhöhten Energie- und Wärmeverlust, Zugluft und Lärmbelästigung.

Trotz offensichtlich nützlicher Funktionalität wird die kontrollierte Wohnraumlüftung aber teils noch immer skeptisch beäugt. Die Studie „Lüftung 3.0: Bewohner-Gesundheit und Raumluft-Qualität in neu errichteten, energieeffizienten Wohnhäusern“ vom Österreichisches Institut für Baubiologie und Bauökologie IBO klärt auf: „Diverse Ansichten zu „Zwangslüftungsanlagen“ wie z.B. Schimmelbefall, vermehrtes Auftreten von gesundheitlichen Beschwerden oder verstärkte Luftzugerscheinungen wurden in der vorliegenden Studie nicht bestätigt. Generell wurden in Objekten mit Wohnraumlüftungsanlagen verglichen mit Objekten mit ausschließlicher Fensterlüftung im Durchschnitt deutlich geringere Schadstoffkonzentrationen in der Innenraumluft nachgewiesen.“

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Lüftungsart – mit oder ohne Wohnraumlüftungsanlage – einen hochsignifikanten Einfluss auf die Konzentration von Flüchtigen Organische Verbindungen (VOC) in der Raumluft hat und dass in Objekten mit ausschließlicher Fensterlüftung häufiger Richtwertüberschreitungen vorkamen. Ein signifikanter bzw. wesentlicher Einfluss wurde in Bezug auf die Konzentration an Formaldehyd, Kohlenstoffdioxid, Radon sowie bei Schimmelpilzsporen festgestellt. Keinen Einfluss hat die Art der Wohnraumlüftung bei Staubmilbenallergenen. Das Fazit zur Wohnraumlüftung: „Behauptungen, dass in Wohnobjekten mit Wohnraumlüftungsanlagen vergleichsweise mehr negative Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden auftreten, konnten nicht gestützt werden. Die deutlich niedrigeren Schadstoffkonzentrationen in Wohnobjekten mit Wohnraumlüftungsanlagen lassen vermuten, dass sich diese Technologie langfristig positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirkt.“

Pro Wohnraumlüftung

Aus eigener 15-jähriger Erfahrung als Passivhaus-Bewohner berichtet Günter Lang, Passivhaus Austria: „Während wir in herkömmlichen Bauten immer das Bedürfnis haben, bei offenen Fenster zu schlafen – trotz Straßenlärm, Staubbelastung, Geruchsbelästigung von Auto- und Mopedabgasen sowie Zugerscheinungen – haben wir im Passivhaus dank der Komfortlüftung das Bedürfnis nach offenen Fenstern überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil stellen wir fest, dass wir in der Früh viel ausgeschlafener und kreativer sind – also im Passivhaus einen gesunden Schlaf im wahrsten Sinne des Wortes genießen.“ Die Vorteile der Wohnraumlüftung bestätigt auch Franziska Trebut, Gesellschaft für Umwelt und Technik ÖGUT: „Im Passivhaus kann eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung sogar die konventionelle Heizung ersetzen. Diese durchaus effizienzsteigernde Tatsache verstellt in Punkto Lüftungsanlage allerdings den Blick auf das Wesentliche: Es ist dies eine Anlage, um ausreichend Frischluft in dichten Innenräumen bereitzustellen.“

Frischer Neubau: deutlich höhere Belastung

Die IBO-Studie zur Wohnraumlüftung bestätigt aber auch die Sorge vor Schadstoffen im Wohnraum. Insbesondere stellt sie ein erhöhtes Ausmaß an VOC-Emissionen bei neuerrichteten Gebäuden fest: „Gründe dafür sind einerseits vermutlich die Verwendung von Lösungsmitteln bei Bau-Chemikalien und Materialien der Innenausstattung als auch sekundär die zu niedrigen Zuluftvolumenströme in den Räumen. Mehr Gewicht muss daher auf eine Emissionsreduktion durch die Auswahl wenigemittierender, schadstoffgeprüfter Baustoffe und Materialien gelegt werden.“ Zusatz: „Nicht in allen Fällen reicht der Betrieb der Wohnraumlüftungsanlage als alleinige Maßnahme zur Expositionsreduktion aus.“

Wolfgang Kradischnig, IG Lebenszyklus Hochbau, generell zu gesundem Raumklima: „Es ist eine grundlegende Aufgabe von Architekten, bei Bauherren und Nutzern ein Bewusstsein für diese Thematik zu schaffen. Wichtig ist z.B. zu verstehen, welche weitreichenden Auswirkungen die Baustoffwahl darstellt. Es geht dabei um viel mehr als nur um Optik, Haptik oder den Preis. Es geht auch um die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Entscheidungen.“

Ungesundes Dämmen?

Für gesundheitliche Bedenken sorgten kürzlich auch das Verbot des Brandschutzmittels HBCD, das u.a. in Dämmstoffen verwendet wird, aber auch die Verwendung von künstliche Mineralfasern als Dämmstoff. Erfreulich ist, dass die meisten österreichischen EPS-Hersteller bereits mit Jänner 2015 den Umstieg auf das alternative Flammschutzmittel pFR abgeschlossen haben. Heimische EPSProdukte der Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum (Marken Austrotherm, Austyrol, Bachl, Modrice, Röhrnbach, Brucha, EPS Industries, Flatz, Hirsch, Steinbacher, Swisspor) sind damit HBCD-frei. Ein aktueller Prüfbericht des Umweltbundesamtes über zehn übermittelte Proben liegt der Medienstelle vor. Allerdings: Rund 15 Prozent der in Österreich erhältlichen EPS-Platten werden importiert.

Dazu Robert Lechner, Österreichisches Ökologie-Institut ÖÖI und Österreichische Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen ÖGNB: „Auch wenn Inhaltsstoffe von Dämmstoffen wie HBCD oder die grundsätzliche physikalische-chemische Beschaffenheit von Dämmmaterialien wie Mineralwolle in der Vergangenheit für einige besorgniserregende Erkenntnisse gesorgt haben, muss festgehalten werden, dass Panikmache fehl am Platz ist. Niemand in einem mit EPS oder Mineralwolle gedämmten Haus muss sich akut Sorgen um die Gesundheit machen. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Industrie haben reagiert; als gefährlich oder bedenklich eingestufte Materialien wurden sukzessive aus dem Verkehr genommen und durch unbedenklichere Materialien ersetzt. Grundsätzlich muss bei allem Optimismus das Vorsorgeprinzip gelten: Wichtig sind mehr denn je zur Vermeidung von unbekannten Folgen deshalb alle nur erdenklichen Maßnahmen einer objektiven Technikfolgenabschätzung. Dieses Vorsorgeprinzip sollte aber für alle Lebensbereiche gelten, von der Ernährung über die Medizin, Telekommunikation, Bekleidung bis hin zum Bauwesen – Dämmstoffe brauchen dabei keine besondere Würdigung.“