Welches Fördersystem brauchen wir für einen CO2-neutralen Gebäudesektor?

Kommentar von Robert Lechner, Österreichische Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen ÖGNB

Im Jahr 1990 wurden in Österreich im Gebäudebereich 13,13 Mio Tonnen CO2-Äquivalente emittiert; in der aktuellen Klimaschutzbilanz werden nur mehr 7,6 Mio Tonnen ausgewiesen. Dies entspricht einer aktuellen Reduktion von 42 Prozent gegenüber 1990. Noch im Vorjahr hatte die Einsparung „nur“ 34 Prozent ausgemacht: Schon diese deutliche Steigerung in nur einem Jahr macht deutlich, dass vor allem die Temperaturschwankungen (kalte Winter) kurzfristig deutlich Einfluss auf die Klimaschutzbilanz des Gebäudesektors nimmt. Die Zielvorstellung bis 2050 ist jedoch klar definiert: Mit Ratifizierung des Paris-Abkommens zum Klimaschutz ist bis spätestens 2050 der Gebäudesektor „weitgehend“ CO2-neutral zu stellen. Werden dem Sektor bis dahin noch 10 Prozent der Emissionen aus dem Jahr 1990 zugestanden, dann verbleiben 1,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.

Vereinfacht kann festgehalten werden: Bis ins Jahr 2020 werden wir ein starkes Drittel der notwendigen Einsparungen umgesetzt haben. Dafür haben wir leider aber dann schon die Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit beansprucht. Hinsichtlich der aktuellen Anforderungsniveaus des „Nationalen Plans“ zur Senkung des Energieverbrauchs im Gebäudesektor wird dem als kostenoptimal deklarierten Niedrigstenergiegebäude („10er-Linie“ der aktuellen OIB-Anforderungen) bis zur mittleren Kompaktheit von Gebäuden (verdichteter Flachbau, kleinerer Mehrgeschoßwohnungsbau) an sich gute Qualität beschieden. Diese Gebäude sind hinsichtlich des zulässigen Heizwärmbedarfs dann mit den hochwertigen Anforderungen von Passivhäusern vergleichbar, wenn mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung eingebaut wird. Gebäude mit geringerer Dichte rutschen derzeit aber durch den Rost: Einfamilienhäuser dürfen beim Niedrigstenergiegebäude ebenso wie der Sanierung mehr als doppelt so viel Energie für Heizung pro Quadratmeter verbrauchen, als Geschoßwohnungsbauten. Dass muss in Zukunft heftig hinterfragt werden. Vor allem auch deshalb, weil bislang österreichweit knapp 60 Prozent der gesamten Wohnflächen im Ein- und Zweifamilienhaus realisiert wurden.
Das Fördersystem der Zukunft muss hocheffiziente Wohnbauten unterstützen, gleichzeitig den Flächenverbrauch pro Kopf reduzieren und die Restenergie mit erneuerbaren Energieträgern bereitstellen. Ich empfiehle die sofortige Ausarbeitung eines Mehrsäulen-Modells mit Schwerpunkten Effizienz (Passivhaus und vergleichbar), Erneuerbare Energieträger (Solar, Geothermie, Biomasse, hocheffiziente KWK) und Verdichtung (Reduktion Pro-Kopf-Verbrauch an Fläche). Besonders der letztgenannte Aspekt wird generell unterschätzt und viel zu wenig beachtet: Wenn es möglich ist, von heute knapp 44 Quadratmeter Wohnnutzfläche pro Person in Österreich auf ca. 30 Quadratmeter zu reduzieren (Wert der 90er Jahre), dann wird dadurch ein ganz wesentlicher Beitrag zur Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und damit auch Zukunftsfähigkeit geleistet. Denkbar ist, dass die Errichtung von Einfamilienhäusern nur mehr dort gefördert wird, wo es sich um Nachverdichtungen, Bestandssanierungen oder Flächenrecycling handelt.
In diesem Zusammenhang schlage ich auch die Einrichtung personifizierter CO2-Konten vor. Nur wenn es uns gelingt, den Menschen klarzumachen, dass sie selbst die Verantwortung für den Klimawandel mittragen, wird ein nachhaltiger Wandel im Sinne einer CO2-neutralen Gesellschaft möglich sein.

Eckpunkte für ein neues Strategie- und Fördermodell im Hochbau

Übergang vom „Wohnbauförderprogramm“ zu einem gesamthaften „Impulsprogramm Hochbau“ in Kompetenz des Bundes und in Abstimmung mit den Ländern (15a B-VG) und unter Einbeziehung aller relevanter Stakeholder

  • Definition von klaren Anforderungen und Nachhaltigkeitszielen für unterschiedliche Gebäudenutzungen 2050: Umwelt, Wirtschaft, Soziales
  • Umweltspezifisches Kernziel: CO2-freier Gebäudesektor Österreich 2050
  • Abstimmung von Wohnbau & Nichtwohnungsbau: Rechtsmaterien, Förderinstrumentarium auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene
  • Besondere Schwerpunktsetzung: Die öffentliche Hand als Nutzerin
  • Benennung von Schwerpunktaktivitäten für die einzelnen Aktivitätsbereiche
  • Unterteilung der Zielvorgaben in kurzfristig einzulösende Maßnahmen mit verpflichtender Anpassung im Berichtsmodus von maximal fünf Jahren (Paris Agreement Reporting Scheme)

Generelle Aspekte / Rahmenbedingungen

  • Reduktion der CO2-Emissionen aus dem Gebäudebereich (Raumwärme, elektrischer Strom) für das Jahr 2050 auf maximal 10 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Jahr 1990. Das entspricht maximal 1,3 Mio Tonnen CO2-Äquivalente. Zu prüfen ist hier eine möglicherweise notwendige Anpassung auf Basis eines absehbaren Bevölkerungswachstums.
  • Entwicklung eines Dokumentations- und Monitoringsystems unter Einbeziehung aller relevanten Aktivitätsbereiche auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene sowie ggf. auch privater TrägerInnen. Hier ist auch gezielt auf das in Entwicklung befindliche Berichts-System im Sinne des Weltklimavertrags Rücksicht zu nehmen.
  • Übergang / Ergänzung des bestehenden Indikatorensystems von meist flächenbezogenen Zielvorgaben auf Pro-Kopf-Zielwerte im Einklang mit internationalen Indikatorensystemen. Neue Zielwerte für CO2-Emissionen pro Kopf, Ressourcenverbrauch pro Kopf (z.B. Primärenergie, Fläche).
  • Definition von Zielvorgaben für die Objekt- und Siedlungsebene. Sukzessiver Ersatz konservativer (und meist wirkungsloser) Raum- und Stadtentwicklungsinstrumente durch systemische Monitoring- und Planungsinstrumente auf Quartiers-, Siedlungs- und Raumebene unter strikter Einbeziehung der gebauten Infrastruktur.
  • Zweckwidmung von Wohnbaufördermitteln und vergleichbaren Förderinstrumenten für den ausschließlichen Zweck des Hochbaus; ergänzend können siedlungsbezogene Infrastrukturen dann gefördert werden, wenn diese nachweislich das Erreichen der Kernzielsetzung „CO2-freier Gebäudesektor Österreich 2050“ unterstützen. Verbot sämtlicher direkter und indirekter Förderung / Finanzierung mit öffentlichen Mitteln für divergierende Zielvorstellungen.
  • Grundsätzlich sind verbindliche Zielvorgaben für die Weiterentwicklung des Gebäudebestands auszuarbeiten: Zu prüfen ist ein „Sanierungsgebot“ mit verbindlicher Umsetzungsfrist für all jene Gebäude, welche deutlich hinter die generellen Zielsetzungen zurück fallen
  • Verbindliche Zweckwidmung von 1 Prozent der relevanten Fördermittel / öffentlichen Mittel für die sektorspezifische Forschung und Entwicklung auf Bundes- und Landesebene. Daraus resultiert nach vorsichtiger Schätzung ein sektorspezifisches (öffentliches) FTI-Volumen von 30 bis 40 Millionen Euro jährlich.

Wohnbauförderung NEU – 15a B-VG zwischen Bund und Ländern

  • Bereitstellung von Wohnbaufördermitteln im Rahmen des Finanzausgleichs mit einem Volumen von 3 Mrd Euro jährlich
  • Entwicklung eines landesweit verbindlichen und vor allem einheitlichen Förderinstrumentariums zur gezielten Umsetzung der zentralen Zielsetzung „CO2-freier Gebäudesektor Österreich 2050“. Sozialpolitische Zielvorgaben sind dabei ebenso enthalten wie gesamtwirtschaftliche Impulse.
  • Sozialpolitisch relevante Fördersätze sind in Form von „Sockelfördersätzen“ für die soziale Dimension des Hochbaus zu definieren.
  • Neubau von Wohnbauten – mittel- bis großvolumige Gebäude: Kurzfristig (mit sofortiger Gültigkeit einer neuen 15a Vereinbarung im Jahr 2017) muss als Mindestvoraussetzung für die Inanspruchnahme von über die Sockelbeträge hinausgehenden Fördermitteln das im Nationalen Plan formulierte Ziel des Niedrigstenergiegebäudes (10er-Linie) gemäß einschlägiger normativer Vorgaben für Gebäude mittlerer und hoher Kompaktheit herangezogen werden. Das bedeutet ein Vorziehen der Neubauanforderungen (01.01.2021) auf spätestens 01.01.2018 für sämtliche Bauwerke. Die höchsten Förderzuschläge sind für Bauwerke in hocheffizienter Bauweise (Passivhaus, Null- / Plusenergiegebäude oder Gebäude mit nachweislich höchster CO2-Effizienz unter Beachtung volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen) zu leisten.
  • Neubau von Wohnbauten – kleinvolumige Gebäude / Einfamilienhäuser: Grundsätzlich ist zu prüfen, inwieweit nach erfolgter gesamthafter Bewertung der Siedlungsstrukturen einerseits (Infrastruktur, Mobilität) und der sozialen Treffersicherheit andererseits (Argumentierbarkeit der Einfamilienhausförderung hinsichtlich Kapitaleinsatz, Flächeninanspruchnahme, Förderfähigkeit der FördernehmerInnen) Wohnbaufördermittel ausgeschüttet werden sollen / können. Grundsätzlich förderfähig soll die Nachverdichtung, das Flächenrecycling in bestehenden Einfamilienhausgebieten und generell die Wiederbelebung bereits vorhandener Siedlungsgebiete sein. Hinsichtlich der Effizienzanforderungen sind vergleichbare Effizienzniveaus wie beim Geschoßwohnbau anzustreben: Das bedeutet konkret, dass die normative Definition des Niedrigstenergiegebäudes im Bereich der kleinvolumigen Wohnbauten einer Nachbesserung bedarf. Höchste Fördervolumina dürfen künftig nur mehr Gebäude in hocheffizienter Bauweise (Passivhaus, Null- / Plusenergiegebäude oder Gebäude mit nachweislich höchster CO2-Effizienz unter Beachtung volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen) erhalten.
  • Sanierung von Wohnbauten: Analog zur sofortigen Umsetzung des Niedrigstenergiestandards für Neubauten sind auch im Sanierungsbereich die kostenoptimalen Anforderungen des „Nationalen Plans“ für das Jahr 2021 sofort als Mindestvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Fördermitteln zu definieren. Förderhöchstsätze sind dort auszuschütten, wo die Reduktion des Energieverbrauchs dazu beiträgt, dass im Vergleich zum Bestandsverbrauch nur mehr 10 Prozent CO2 emittiert werden. Zwischen bereits jetzt ambitionierten Anforderungen bei mittelgroßen und großen Wohnbauten (übertreffen die Neubauanforderungen von Einfamilienhäusern!) und den weniger ambitionierten Anforderungen bei Einfamilienhäusern ist ein Ausgleich zu schaffen (Anhebung der Mindestvoraussetzungen für EFH)
  • Ausschluss Öl- / Kohle- / Koksfeuerung

Porträtfoto