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Zersiedelung

Kommentar von Johannes Kislinger, Innovative Gebäude

„Zersiedelung bedeutet wuchern urbaner Kernzonen mangels eines großen Plans, der künftige Entwicklungen berücksichtigen sollte. Das LEBEN hat keinen WERT mehr, sondern einen PREIS. Und den leisten wir uns. Sind wir uns bewusst, dass das Leben endlich ist, wie der Boden auf dem wir stehen?

Die Vereinten Nationen haben 2015 das Jahr zum Jahr des Bodens erklärt und in diesem Zusammenhang den ersten Bodenatlas herausgebracht. Die Weltgemeinschaft hat sich neben der Reduktion der Klimaerwärmung um 2° Celsius auch das Recht auf ausgewogene Nahrung und den Stopp des Verlustes der Biodiversität zum Ziel gesetzt. Alle diese Ziele sind nur über den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Boden zu erreichen.

„Wir nutzen die Böden der Welt, als wären sie unerschöpflich. Doch sie sind in menschlichen Zeiträumen nicht erneuerbar.“

Das Land der Berge, Land der Äcker hat mit 84 000 km2 eine Fläche, die zu 37 Prozent unveränderbar benutz- und besiedelbar ist. Die Warnung, dass pro Tag 22 Hektar verbaut und zubetoniert werden, hat das Umdenken nicht beschleunigt. Die Auswirkungen sind seit Jahren die gleichen – Agrarflächen weichen den Siedlungserweiterungen. Reduzierte Agrarflächen führen in weiterer Konsequenz zu gesteigerten Importen von Agrarprodukten.

Die einfache Frage nach der Bemessung von Zersiedelung ist durch den föderalistischen Verwaltungsapparat nicht vergleich- und daher quantifizierbar. Bundesländer haben unterschiedliche Bemessungsmodelle, die erhobenen Flächenangaben sind zum Teil auch nicht vergleichbar. Auch ist Raumplanung nach wie vor in der Hand von lokalen Gemeindestrukturen.

Die Landwirtschaft ist selbst von guten Böden abhängig und trägt somit auch Verantwortung für die großen Verluste. Industrielle Methoden der Bewirtschaftung führen zu Erosion und reduzieren die Biodiversität. Der weltweite Vergleich erklärt das Anwachsen von politischen Konflikten durch ungleich verteilten Bodenbesitz. Durchschnittlich braucht ein Europäer 1.3 Hektar für die Konsumprodukte. Das ist in etwa sechsmal so viel wie für eine Person in Bangladesch. Zudem liegen 60 Prozent der für den europäischen Konsum außerhalb der EU.

2015 wollte die UN für den sorgsamen Umgang mit der Ressource Boden werben. Klimaschutz und Nachhaltigkeit beginnt zu aller erst beim Bodenschutz. Erst nachrangig sind Fragen nach Effizienz der Gebäude oder Mobilität zu beantworten.

In Österreich ist das Bewusstsein etwas angewachsen, die Geschwindigkeit der Versiegelung nimmt dennoch nur langsam ab. In der Zeitspanne von 2006 bis 2012 stieg der Flächenverbrauch um zehn Prozent an, hingegen wuchs die Bevölkerung im gleichen Zeitraum nur um zwei Prozent. Dies führt zu den Angaben, dass pro Tag ca. 22 Hektar oder 30 Fußballfelder verbraucht wurden. Dagegen wurde 2001 in der ÖROK (österreichische Raumordnungskonferenz) beschlossen, bis 2012 den Flächenverbrauch auf 1 ha/ Tag zu begrenzen.

Die Mehrkosten von Siedlungserweiterungen beinhalten die Errichtung und Erhaltung von Erschließung und Infrastruktur, 51% aller Handels- und Verkaufsflächen befinden sich außerhalb von Ballungsräumen auf der grünen Wiese. Alleine dieser Umstand erklärt die Zunahme von Verkehrsaufkommen in diese Gebiete. Somit wird Raumordnung zum wesentlichen Bestandteil von Klimapolitik und nachhaltigem Wirtschaften. Entscheidungen für Siedlungsräume beeinflussen Stoffflüsse (Acker wird zur Straße, Straßen generieren Verkehr, Verkehr erzeugt Emissionen etc.) über weit größere Zeiträume als Lebenszyklen von Gebäuden oder deren Bewohner.

Für die Energieversorgung von Haushalt und Mobilität werden Biokraftstoff und nachwachsende Rohstoffe vor allem im nicht-städtischen Bereich gewonnen. Böden bergen Energieressourcen. Auf den Böden wächst Biomasse, sie sind Lagerstätten fossiler Reserven und schließlich werden sie für Wind- und PV-Anlagen benötigt. Die Verwendung von Biomasse für Energieerzeugung erscheint vordergründig als klimaneutral. Dabei bleiben jedoch Faktoren wie die Erzeugungsenergie der Biomasse, die Umwidmung von vorher anders genutzten Böden und die graue Energie die durch Herstellung, Handelsströme oder Konsum verursacht werden unberücksichtigt.

Fallbeispiel aus NÖ:
NÖ benötigt mit 58.6% seiner Landesfläche Dauersiedlungsraum, das liegt über dem österreichischen Durchschnitt von 37.4%. Bei einem Gebäudestand von 591.000 Wohngebäuden sind 507.000 Ein- und Zweifamilienhäuser. Das sind immerhin 85.8% der Wohngebäude und 79.2% aller Gebäude in NÖ. Somit ist die Anordnung und Größe dieser Gebäude das entscheidende Kriterium für die Bewirtschaftung von Bauland und Siedlungsstruktur.

Die Bebaubarkeit eines Grundstückes wird in NÖ in der Bauordnung und im Raumordnungsgesetz geregelt. In den letzten Jahrzehnten war die zulässige Bebaubarkeit von Grund und Bauland Gegenstand zahlreicher meist emotional geführter Debatten, die auch bis zum Höchstgericht ausgefochten wurden.
Der Paragraf 54 der Bauordnung regelt deshalb seit 2014 neu die Höhe und Anordnung eines Gebäudes im Falle, dass keine Bebauungsvorschriften für das Grundstück bestehen (in NÖ ist das die Mehrzahl). In diesem Paragrafen wird die offene Bauweise bis zu 2 Geschossen – entsprechend der Typologie eines freistehenden Einfamilienhauses als NICHT abweichend zur vorherrschenden Bebauungsformen definiert und zum Prinzip erklärt. Zahlreiche Studien und Rechenmethoden haben aber eben diese Siedlungsform als nicht wirtschaftlich und nachhaltig erkannt. Das online Tool elas-Rechner –Energieausweis für Siedlungen zeigt in überschaubarer Art auch Laien den Zusammenhang zwischen der Siedlungsform und dem ökologischen Fußabdruck. http://www.elas-calculator.eu/
Porträtfoto: http://www.nachhaltiges-bauen.jetzt/wp-content/uploads/2015/06/Johannes-Kislinger_Wilke.jpg

Quellen:
Regionalinformation der Grundstücksdatenbank (Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen) aufbereitet durch Umweltbundesamt, 1.1.2012
Statistik Austria Wohnungs- und Gebäudestand 2011
Bodenatlas 2015 https://www.global2000.at/sites/global/files/Bodenatlas2015.pdf

Der Gebäude-Standort als ökologischer Faktor

Kommentar von Andrea Kraft,  Energie und Umweltagentur NÖ eNu

„Wenn heute vom „nachhaltigen Bauen“ gesprochen wird, bezieht man sich in vielen Fällen auf energieeffiziente Gebäude, ökologische Dämmstoffe oder auch regenerative Energie für die Raumwärme. Nachhaltiges Bauen setzt aber bereits bei einer wesentlich früheren Stufe – bei der Entscheidung über die Art und Lage der „eigenen vier Wände“ – an. Grob gesprochen lässt sich somit die Entscheidung für ein nachhaltiges Gebäude mit drei Begriffen zusammenfassen: gut gedämmt, erneuerbar beheizt und nachhaltig gestaltet. Wobei gerade dem letzten Begriff, der nachhaltigen Gestaltung, eben der Art und Lage des Gebäudes, noch immer zu wenig Beachtung geschenkt wird.

Gut gedämmt

Unwidersprochen ist die Nachhaltigkeit eines Gebäudes stark von der Qualität der umschließenden Flächen abhängig. Beim Neubau, wie auch bei der Sanierung eines bestehenden Gebäudes, ist somit auf ausreichende Wärmedämmwerte der Außenmauern und Fensterflächen zu achten. Wärmebrückenfreiheit und geringe Lüftungswärmeverluste durch eine dichte Hülle sind neben der Planung vor allem in der Ausführung wesentliche Parameter. Ökologische Dämmstoffe aus natürlichen Quellen wie Wolle, Flachs, Holzfaser oder Zellulose erfüllen auch hier den Anspruch auf Nachhaltigkeit.

Erneuerbar beheizt

Der zweite wesentliche Faktor bezieht sich auf die Wärmebereitstellung. Wärme, die einem Gebäude zur Beheizung und für die Warmwasserbereitung zugeführt werden muss, sollte jedenfalls aus regenerativen Quellen erfolgen. Eine breite Palette an Systemen, von Holz über Wärmepumpen und Solarthermie ist für diesen Bereich entwickelt worden und steht auf dem Markt zur Verfügung.

Nachhaltig gestaltet

Während die technischen Bereiche – Gebäudehülle und Haustechnik – bereits in unserem Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Energie – weitgehend – verankert sind, hinkt die nachhaltige Gestaltung noch immer hinterher, obwohl dieser Bereich in der Priorität vorrangig zu behandeln ist: Ein energieeffizientes Gebäude „auf der grünen Wiese“ ist demgemäß kein positives Beispiel für Nachhaltigkeit. Die nachhaltige Gestaltung richtet sich vor allem nach den Faktoren: Lage des Gebäudes, Flächenverbrauch und Wohnform.

Die passende Wohnform

Eine grundsätzliche Frage setzt sich mit den Überlegungen der eigentlichen Wohnform auseinander.
Die Entscheidungsmöglichkeit reicht vom freistehenden Einfamilienhaus, über den verdichteten Flachbau, individuelle Gemeinschaftsprojekte, innovative Neubausiedlungen bis zur weitgehend anonymen „Zelle“ in einer Wohnbauanlage. Es macht sich durchaus bezahlt, zu Beginn der Überlegungen diese Frage eingehend zu erörtern.
Das freistehende Einfamilienhaus wird vielfach als erstrebenswerte Wohnform gesehen, da es für den Besitzer/ die Besitzerin den höchsten Individualitätsanspruch erfüllt. Gleichzeitig ist aber mit dieser Wohnform der höchste Flächen- und Ressourcenverbrauch verbunden, was sich auch in den Kosten für die Erschließung und dem erhöhten Verkehrsaufkommen niederschlägt.
Der verdichtete Flachbau und auch viele individuelle Gemeinschaftsprojekte setzen dem Einfamilienhaus Raumkonzepte gegenüber, die dem individuellen Anspruch der BewohnerInnen auf konzentriertem Raum entsprechen, und zudem von der Eigenverantwortung bezüglich Wartung und Instandhaltung entlasten. Innovative Neubausiedlungen ermöglichen vielerorts individuelle Gestaltung der Wohnräume und bieten zudem unterschiedliche gemeinschaftlich nutzbare Flächen und Außenräume.

Flächenverbrauch – Quadratmeter sinnvoll nutzen

Neben der Frage der Wohnform ist auch die Frage der Menge an versiegelter Fläche entscheidend für die nachhaltige Gestaltung unseres Wohnraums. Der Begriff „Wohnnutzfläche“ an sich setzt die Bedingung der „Nutzbarkeit“ als Wohnraum voraus. Sinnvolle und durchdachte Planung erspart hier unnötige Quadratmeter, die eigentlich gar nicht der tatsächlichen Wohnnutzfläche dienen, sondern Schwachstellen der Planung durch leere Verbindungsflächen füllen.
Der Grund, warum sich unsere Wohnflächen seit 1980 beinahe verdoppelt haben, mag somit auch an der mangelnden sinnvollen Planung unserer Wohnräume liegen. Jeder Quadratmeter „mehr“ muss aber erschlossen, errichtet, beheizt, gewartet und auch wieder entsorgt werden. Gleiches gilt auch für Nebengebäude, Garagen, etc.
Der Faktor Fläche ist aus dem Grund entscheidend, da der zur Verfügung stehende Boden dafür eine endliche Ressource darstellt. Die Fläche für Bauland steht in Konkurrenz mit der für Nahrungsmittelproduktion, Verkehr, zu Produktion von Energie, und auch als Rückhaltefläche bei Unwettern.

Die Lage entscheidet

Mit der Lage des Gebäudes – im Zentrum oder auf der grünen Wiese – entscheidet der Bewohner/ die Bewohnerin grundlegend über die Nachhaltigkeit des Gebäudes.
Der Verkehr stellt neben der Raumwärme die größte Umweltbelastung gemessen am CO2 Ausstoß dar. Gute Erreichbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln, fußläufige Anbindungen und kurze Wege für die tägliche Versorgung stellen somit ein wesentliches Qualitätskriterium eines nachhaltigen Gebäudes dar.
Das Bundesland NÖ hat auf diese Verknappung mit einem eigenen „Energieausweis für Siedlungen“ reagiert, der die Gesamtenergieeffizienz von Siedlungen deutlich macht. Lage und Größe der Gebäude sind hier entscheidende Faktoren. Der Vorteil für die BewohnerInnen wird schnell deutlich: geringe Aufschließungskosten, kurze Wege, geringe Instandhaltungskosten.

Nachhaltiges Bauen ist somit die Auseinandersetzung mit einer Summe an Faktoren, das bereits vor der ersten Entwurfsplanung oder der Entscheidung über Dämmstandard beginnt. Verschiedene Nachweise, wie der „klimaaktiv Standard“, oder auch die Initiative „ausgezeichnet gebaut in NÖ“ haben das Thema der nachhaltigen Gestaltung bereits aufgenommen, und versuchen, diesen Aspekt auch sichtbar zu machen.

Tatsächlich liegt es an uns – als private Entscheidungsträger – unseren Wunsch nach Wohnraum nachhaltig zu gestalten. In dem Bewusstsein, dass wir mit der Entscheidung, wo und in welcher Qualität wir wohnen, auch über die Lebensqualität zukünftiger Generationen entscheiden.“

Porträtfoto