Das Prinzip Suffizienz

Kommentar von Renate Hammer,  Institute of Building Research & Innovation

„Das Planet Boundaries Modell nach Rockström listet und bewertet Umweltveränderungen, die auf Grund des heutigen Erkenntnisstandes als Bedrohung für das globale Ökosystem identifiziert wurden. Es sind dies geordnet nach der Schwere der Belastung: Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Stickstoff- und Phosphorkreislauf, Süßwasserentnahme, Landnutzungsänderung, Versauerung der Ozeane, stratosphärischer Ozonabbau, atmosphärische Aerosoldispersion und chemische Verseuchung.

Das Bauen und die damit in Zusammenhang stehende Raumnutzung verursachen jedenfalls einen Verlust an Biodiversität durch die Zerstörung zusammenhängender Lebensräume und leisten dem Klimawandel durch Emissionen aus der Gebäudeerrichtung, dem Gebäudebetrieb und dem induzierten Verkehr Vorschub. Gleichzeitig beobachten wir trotz vehementen Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft und trotz Raubbau, dass sich immer größere Gruppen der österreichischen Bevölkerung adäquaten Wohnraum nicht leisten können. Die Prioritäten bei der Wohnungswahl haben sich im Lauf der letzten Jahre kontinuierlich verändert und zunehmend auf finanzielle Aspekte verengt.

In dieser hochschwierigen Ausgangslage ist und bleibt es die ureigene Aufgabe von PlanerInnen und ArchitektInnen Lebensräume zu gestalten, ein Bild dessen zu skizzieren was entsteht und dadurch Verantwortung zu übernehmen. Planung bestimmt entscheidend über den Einsatz der Ressourcen Boden, Energie, Material und Emissionen, legt fest wie viel wir wovon jetzt und in Zukunft brauchen und damit in hohem Maße welche Lebensqualität wir langfristig sicherstellen können. Eintreten für nachhaltige Architektur und einen nachhaltigen Umgang mit Raum ist daher eine der gesellschaftsrelevanten Aufgabe der Gegenwart.

Welchen Strategien folgen wir, um langfristige Zukunftsfähigkeit zu erreichen? Die von uns derzeit am häufigsten angewandte Strategie ist die Effizienzsteigerung, also die Erzielung des gleichen Ergebnis mit weniger Aufwand. In einer Wachstumsgesellschaft reicht das gleiche Ergebnis jedoch nicht. Daher steht der Gesamteinsparungserfolg, den wir durch Effizienzsteigerung im Bauen erzielen konnten nicht im Verhältnis zu den umfassenden Anstrengungen. Effizienz ist ein kluges und im Sinne der Nachhaltigkeit unabdingbares Handlungsprinzip, aktuell jedoch konterkariert durch unser stetes Streben nach Mehr.

Es braucht einen Paradigmenwechsel, – die Frage lautet nicht, wie viel, sondern was brauchen wir? Das Prinzip heißt Suffizienz, Angemessenheit. Hier beginnt die Herausforderung für PlanerInnen. Wann haben wir die Muster und Vorgaben nach denen wir unsere Wohnungen, Büros, Schulen und Kindergärten entwickeln das letzte Mal kritisch dahingehend überprüft, ob sie abbilden was wir wirklich brauchen?

Ein paar Dinge lassen sich dazu statistisch festmachen: Den stärksten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat die Gesundheit, und viel Besitz macht nicht viel glücklicher als genug Besitz. Stellen wir uns also eine Lebensumgebung vor, die uns vor allem gesund hält, und die uns genügt. Allzu konkret mag die erste Skizze nicht ausfallen, weil es nicht üblich ist Bauaufgaben und Raumordnungsfragen unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten. Um die Skizze in ein konkretes Bild und schließlich in gestaltete Umwelt umsetzen zu können, gilt es interdisziplinäres oft evidenzbasiertes Wissen zusammenführen und Innovation durchzusetzen.

Über das Prinzip der Suffizienz hinaus weist die Subsistenz, die besagt, dass souverän sein wird, wer wenig braucht und von diesem Wenigen einen großen Teil selbst oder im Umfeld des eignen Wirkungskreises herstellt. Subsistenz steht für die Möglichkeit der Eigenproduktion, partielle Selbstversorgung und Steigerung der Unabhängigkeit. Sie mündet nicht zwangsweise in Autarkie sondern ermöglicht den Austausch im bisher denküblichsten Fall etwa von vor Ort produzierter Energie, aber auch von Lebensmitteln oder Dienstleistungen.

Dadurch wird die Resilienz, beschrieben als Robustheit und Widerstandsfähigkeit, als Toleranz gegenüber Störungen und Veränderungen erhöht. Resilienz kann konkret auf das Gebaute im Zusammenspiel mit dem Nutzer selbst angewendet werden, etwa durch die Anpassung der aktuell zu eng gesteckten Klimakomfortzone im Innenraum an die Erfordernisse der menschlichen Physiologie und Gesundheit. Auch der Einsatz langfristig nutzbarer Haustechnik und Regelungssysteme sowie die Wahl entsprechender Materialien und Konstruktionen oder die Entwicklung vielfältig bespielbarer Raumkonfigurationen steigern die Resilienz.

Schließlich verlangt das Prinzip der Konsistenz, dass sich die Aufwendungen für das Bauen, für Nutzung und Betrieb von Gebäuden in übergeordnete natürliche Systemen einfügen, etwa durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe oder ausreichend regional verfügbarer Materialien sowie den Einsatz erneuerbarer Energien.

Nachhaltigkeit bei der gestaltenden Weiterentwicklung unserer Architektur und unserer Lebensräume lässt sich durch die kombinierte konsequente Umsetzung von zumindest diesen fünf Strategien Effizienz, Suffizienz, Subsistenz, Resilienz und Konsistenz erreichen. Die nötige Reduktion heutiger Treibhausgasemissionen um 80 Prozent ist dafür eine veranschaulichende Maßzahl.“

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