Krebsgefahr durch Dämmen?

Kommentar von Robert Lechner, Österreichisches Ökologie Institut

„Immer wieder tauchen Gerüchte auf, dass die Verwendung bestimmter Dämmstoffe das Risiko zur Krebserkrankung wesentlich erhöht wird und dass damit „quasi pauschal“ beim Dämmen von erhöhter Gefährdung der Gesundheit auszugehen ist. Auch wenn Begrifflichkeiten wie „Gefährdung der Gesundheit“ und „krebserregend“ grundsätzlich zwei sehr vorsichtig und vor allem differenziert zu beurteilende Aspekte sind, kann eines vorweggenommen werden: Das pauschale Vorurteil „Krebs durch Dämmen“ stimmt definitiv nicht.

Schreckgespenst Asbest

Wo aber abseits bewusster Panikmache oder Unwissenheit kommen derartige Vorwürfe tatsächlich her? Uns allen ist insbesondere ein Baumaterial mit nachgewiesen extrem gesundheitsgefährdender Wirkung bei der Verarbeitung und vor allem Sanierung bekannt: Asbest gilt bis heute als Schreckgespenst der Bauwirtschaft und das zurecht. Asbest wurde eigentlich seit dem Altertum vor allem im Brandschutz, als Dach- und Fassadenbaustoff und eingeschränkt auch als Dämmstoff verwendet. Der bei der Verarbeitung, zunehmender Verwitterung und vor allem beim Abbruch anfallende Asbeststaub ist aufgrund der entstehenden Feinstäube wegen seiner Fasergröße gefährlich. Wenn hier von „Größe“ die Rede ist, sollten die Dimensionen verdeutlicht werden: Als gefährlich werden Fasern eingestuft, deren Länge größer als 5 Mikrometer und deren Durchmesser kleiner als 3 Mikrometer ist. Ein Mikrometer ist übrigens ein Tausendstel eines Millimeters – also ganz schön klein. Wie auch immer: Derartige Fasern werden als „lungengängig“ bezeichnet. Zusätzlich dazu ist die biologische Abbaubarkeit – die Biolöslichkeit oder Halbwertszeit – im Körper schlecht. Die Folge daraus können Krebserkrankungen sein; Hauptbetroffene sind BauarbeiterInnen, die mit Asbest in Kontakt kommen. Aus diesen Gründen ist Asbest in der Europäischen Union seit 2005 generell verboten; in einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereits seit mehr als zwanzig Jahren. Österreich hat im Jahr 1990 ein generelles Asbestverbot gesetzlich verankert und war mit dieser Maßnahme damals eine Vorreiternation im Umwelt- und Arbeitsschutz. Eines ist aber auch klar: Mitunter gefährlich kann bei Bauwerkssanierungen der Ausbau von Asbest sein, sofern dieses Material überhaupt im Altbau vorhanden ist. Deshalb gibt es strenge arbeitsrechtliche Vorschriften, wie mit diesem gefährlichen Material umzugehen ist. Werden diese eingehalten, so kann das Gefährdungspotential auf ein Minimum reduziert werden. So weit so gut: Asbest ist Geschichte und hierzulande nicht die schlechteste.

Alte und neue Mineral- und Glaswolle

Was aber hat die Asbestproblematik mit bis heute gültigen Vorwürfen wie „Dämmen ist krebserregend“ zu tun? Nun, gesundheitsgefährdend ist bei Asbest die beschriebene Fasergröße und geringe Biolöslichkeit des Materials im Körper. Der Faserstaub bei Verarbeitung oder Abbruch ist „lungengängig“, er kann somit tief in den menschlichen Organismus eindringen. Fehlende oder geringe Biolöslichkeit führt dazu, dass ein Material im menschlichen (oder biologischen) Organismus gar nicht oder nur wenig abbaubar ist. Und derartige Eigenschaften trafen bis zur Mitte der 90er Jahre auch auf andere Materialien zu. Allen voran sind hier einzelne Mineralfaserprodukte zu nennen. Mit dem insbesondere in Österreich und Deutschland gestiegenen Bewusstsein zum Gefährdungspotential von Asbest bzw. Materialien mit asbestähnlichen Eigenschaften (richtig: Fasergröße, Biolöslichkeit!) wurden deshalb für Mineral- und Glaswolle bereits Mitte der 90er Jahrestrenge Vorgaben entwickelt, deren Einhaltung dafür sorgt, dass die Verwendung dieser Materialien hinsichtlich ihrer Krebswirkung mit geringen Risikos verbunden ist. Und nochmals ein mahnendes Vorsicht mit Ausrufezeichen: Wenn bei Asbestfasern die Biolöslichkeit oder Halbwertszeit im menschlichen Organismus bei mehr als 100 Jahren liegt, so liegt diese bei „alten“ Mineralwollen (Glaswolle) bei mehreren Monaten. Und als „alte“ Produkte sind Glaswollen einzustufen, die vor dem Jahr 1996 in Europa produziert bzw. in Verkehr gebracht wurden. Seither gelten strenge Anforderungen an die Biolöslichkeit sogenannter „KMF – Künstliche Mineralfasern“, unter die alle Mineral- und Glaswollprodukte fallen. Ähnlich wie bei Asbest ab dem Jahr 1990 kann somit für Mineral- und Glaswolle für Österreich ab Mitte der 90er Jahre festgehalten werden: Die karzinogene Wirkung dieser Produkte wurde aufgrund strenger Vorgaben für die Produktion extrem reduziert und ist keinesfalls mit jener der ohnehin verbotenen Asbestprodukte vergleichbar. Seit dem Jahr 2005 gilt übrigens EU-weit ein Verbot der Produktion und des Inverkehrbringens von Produkten mit KMF, die hinsichtlich ihrer physischen oder chemischen Beschaffenheit (schon wieder: Fasergröße, Biolöslichkeit!) bedenklich sind. Gütesiegel wie natureplus, Österreichisches Umweltzeichen oder Blauer Engel bestätigen die Unbedenklichkeit ebenso wie das „RAL-Gütesiegel“ der Gütegemeinschaft Mineralwolle, welche mit ihren Produkten mittlerweile mehr oder minder praktisch 100 Prozent des Marktes abdeckt. Und wie bei Asbest gilt: Vorsicht ist beim Ausbau bzw. bei der Sanierung von Gebäuden mit „alten“ Mineralfasern geboten, deren Einbau also vor dem Jahr 1996 erfolgte. Und nochmals: Im Vergleich mit Asbest kann bei Mineralwolle grundsätzlich von geringerer Gesundheitsgefährdung ausgegangen werden. Wichtig ist auch hier die Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen bei der Sanierung bzw. beim Umgang mit derartigen Produkten; wenngleich bei „neuen“ KMF-Produkten in erster Linie der Juckreiz auf der ungeschützten Haut ein mit entsprechender Arbeitsbekleidung ärgerliches aber zu bewältigendes Übel darstellt. Oberstes Gebot für die Gebäudesanierung, aber auch den Neubau: Eine möglichst staubfreie Verarbeitung von KMF-Produkten reduziert das Gesundheitsrisiko auf ein Mindestmaß.

HBCD

Bleibt in dieser Analyse noch ein aktuell bekanntes Thema, welches in erster Linie in Verbindung mit EPS oder expandiertem Polystyrol kommuniziert wird: Die Rede ist von HBCD, dem Kürzel für das fast unaussprechliche Hexabromcyclododecan, welches zumindest bis in die jüngste Vergangenheit einen häufig als Flammschutzmittel eingesetzten Stoff bezeichnet. HBCD hat laut Umweltbundesamt Deutschland in Übereinstimmung mit der Mehrzahl aller ExpertInnen vier problematische Eigenschaften: Es ist giftig für Gewässerorganismen, zum Beispiel für Algen. Der Stoff ist persistent oder langlebig – er kann in der Umwelt nur sehr schlecht abgebaut werden. HBCD reichert sich zudem in Lebewesen an, die Fachwelt spricht benennt diese Eigenschaft als „bioakkumulierend“. Beispielsweise kann in Lebewesen in arktischen Regionen gegenwärtig schon eine merkbare Konzentration von HBCD nachgewiesen werden, wodurch auch das „Ferntransportpotenzial“ von HBCD als vierte negative Eigenschaft, benannt wird. Wegen dieser Eigenschaften wird HBCD als „besonders besorgniserregender Stoff“ nach den Kriterien der Europäischen Chemikalienverordnung REACH und als persistenter organischer Schadstoff unter der Internationalen Stockholm-Konvention geführt. Beide Einstufungen führten wie bei Asbest und KMF in den 90er Jahren dazu, dass das Inverkehrbringen (und damit die Produktion) von Stoffen mit HBCD spätestens seit August 2015 verboten ist. Die österreichische EPS-Dämmstoffindustrie in Form der „Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum“ legt Wert auf die Feststellung, dass bereits seit Mitte 2014 die Produktion von EPS-Dämmplatten bei den Mitgliedsbetrieben frei von HBCD erfolgt und statt dessen ein alternatives Flammschutzmittel verwendet wird. Wichtig: HBCD wird nicht als krebserregend oder „akut toxisch“ eingestuft. Das bedeutet laut Ansicht desUmweltbundesamtes in Deutschland, dass die Gefahr einer akuten Gesundheitsgefährdung für Menschen in Häusern mit EPS-Dämmung bzw. HBCD als Flammschutzmittel eigentlich nicht gegeben ist. Bedenklich ist wie bereits dargestellt die grundsätzliche Verbreitung und Anreicherung im Organismus, deren langfristige Auswirkungen nicht bekannt sind. Das HBCD-Verbot ist deshalb eine Vorsorgemaßnahme zur bestmöglichen Vermeidung künftiger Gesundheitsrisikos. Bei der Entsorgung von EPS in Form der thermischen Verwertung als Brennstoff (welche im Übrigen bei nahezu allen Dämmstoffen mit Ausnahme jener auf mineralischer Basis anzuwenden ist) wird das im EPS enthaltende HBCD zur Gänze vernichtet und das enthaltene Brom als Salz in der Abgasreinigung aufgefangen.

Fazit

Die gesundheitsgefährdende Wirkung von künstlichen Mineralfasern (KMF) oder HBCD als Flammschutzmittel bei der EPS-Produktion kann zwar nicht zur Gänze ausgeschlossen werden. Sie wurde aber aufgrund gesetzlicher Vorgaben, die teilweise schon vor mehr als einem Jahrzehnt in Kraft getreten sind extrem reduziert. Gegenwärtig in Österreich produzierte Dämmstoffe halten dabei strenge Kriterien ein, welche in Form von Gütesiegeln wie natureplus, Österreichisches Umweltzeichen oder Blauer Engel durch unabhängige Organisationen bestätigt werden. Für KMFProdukte ist in diesem Zusammenhang auch das RAL-Gütesiegel für Mineralwolle zu nennen. Vorsicht ist im Umgang mit „alten“ Mineralwollen, deren Produktion vor dem Jahr 1996 erfolgte gegeben: Hier sind bei der Sanierung alter Bauten gesonderte Vorsichtmaßnahmen (Arbeitsbekleidung, gute Durchlüftung, möglichst staubfreies Arbeiten, etc.) notwendig. Deren Einhaltung reduziert die Gesundheitsgefährdung auf ein nach heute gegebenen Standards vertretbares Maß. Von EPS oder besser HBCD als bis vor kurzem häufig verwendetes Flammschutzmittel in EPS geht keine direkte und akute Gefährdung für die Gesundheit von Menschen in EPS-gedämmten Bauwerken aus. Bedenklich sind möglicherweise noch nicht gänzlich bekannte Langzeitwirkungen von HBCD: Deshalb wurde dieser Stoff in der EU (bzw. weltweit) mittlerweile verboten; in Österreich erfüllen nach Prüfung des Umweltbundesamtes Produkte der Güteschutzgemeinschaft Polystyrol Hartschaum dieses Verbot spätestens seit Jänner 2015.

Porträtfoto

Quellen:
Zum Thema Asbest als Krebsrisiko: Deutsches Krebsforschungszentrum – Krebsinformationsdienst.
Aufgesucht im Internet am 3.11.2015: https://www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/asbest.php#inhalt2
Zum Thema Künstliche Mineralfasern KMF: Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 22 – Umweltschutz. Projekt „Künstliche
Mineralfasern“. Endbericht 2012. Durchgeführt von: AETAS Ziviltechniker GmbH. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte,
Problematik und rechtlichen Situation zum Umgang mit KMF in Europa und Österreich.
http://www.nachhaltiges-bauen.jetzt/kuenstliche-mineralfasern/
Zum Thema HBCD: Umweltbundesamt Deutschland. Hexabromcyclododecan (HBCD) – Antworten auf häufig gestellte Fragen.
Schriftenreihe „Hintergrund // Februar 2014“ des Umweltbundesamts Berlin, Berlin 2014.
http://www.nachhaltiges-bauen.jetzt/hbcd-haeufig-gestellte-fragen/