Vortrag & Kommentar von Lukas Kranzl, TU Wien
„Wir sind derzeit nicht nur vom Ziel einer weitestgehenden Dekarbonisierung bis 2050 (im Gebäudesektor) weit entfernt, sondern auch und vom Pfad hin zu diesem Ziel. Aber: Eine starke Reduktion von Energiebedarf und dem Einsatz fossiler Energieträger ist in den kommenden Jahrzehnten möglich. Notwendig dafür sind radikale, rasche Maßnahmen. Thermische Gebäudesanierungen und jegliche Form erneuerbarer und effizienter Wärmebereitstellung stehen nicht im Gegensatz sondern bedingen einander.
Energieszenarien bis 2050
Die Studie „Energieszenarien bis 2050“ u.a. der TU Wien dokumentiert die Ergebnisse für den Energiebedarf für Raumwärme und Warmwasserbereitung des österreichischen Kleinverbrauchs bis zum Jahr 2050. Erfasst wird der Energiebedarf der Haushalte und des privaten und öffentlichen Dienstleistungssektors, nicht aber der Energieverbrauch von Gebäuden, die dem industriellen Bereich zugeordnet sind.
Im Projekt wurden zwei Hauptszenarien erstellt. Das Szenario „with existing measures“ (WEM 2015 Szenario) berücksichtig bereits (mit Stand Februar 2014) implementierte Maßnahmen. Das zweite Szenario „with additional measures“ (WAM 2015 Szenario) enthält auch solche, die noch nicht umgesetzt aber bereits beschlossen wurden, beziehungsweise deren Umsetzung als nahezu gesichert anzusehen ist. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das WAM 2015 Szenario bei weitem nicht alle möglichen Maßnahmen für den Zeitraum bis 2020 bzw. 2030 (und darüber hinaus) enthält. Daher stellt das WAM 2015 Szenario keine Obergrenze für Sanierungspotentiale oder den Einsatz an erneuerbaren Energieträgern dar.
In allen Szenarien nimmt der Endenergieeinsatz in der Betrachtungsperiode ab. Ausgehend von einem Energieeinsatz von 86 TWh im Jahr 2012, kann dieser auf 82 TWh (2020) bzw. 75 TWh (2030) und 61 TWh (2050) im WEM 2015 und auf 78 TWh (2020) bzw. 65 TWh (2030) und 53 TWh (2050) im WAM 2015 Szenario gesenkt werden. Dabei sei darauf hingewiesen, dass der wesentliche Treiber für die zusätzlichen Einsparungen im Szenario WAM 2015 die Annahme bzw. exogene Vorgabe zur Wirkung des Energieeffizienzgesetzes darstellt. Diese orientiert sich an den im Gesetz formulierten Zielvorgaben und der Annahme, dass diese Zielvorgaben tatsächlich zur Gänze zusätzlich zu WEM 2015 realisiert werden. Dies würde eine äußerst stringente Umsetzung der Anrechnung von Maßnahmen erfordern. Falls dies in der Realität nicht der Fall sein sollte, ist von einer geringeren Wirkung des Energieeffizienzgesetzes auszugehen und damit von einer unter Umständen deutlich niedrigeren Einsparung im Szenario WAM 2015.
Das Szenario WAM-plus 2015 geht von der Implementierung eines stringenten und ambitionierten Instrumentenbündels zur Steigerung von Sanierungstiefe und Sanierungsrate sowie des Anteils erneuerbarer Wärme aus. Damit wird eine Reduktion des Endenergieeinsatzes bis 2030 auf 64 TWh und bis 2050 auf 40 TWh erreicht. Der Anteil erneuerbarer Energieträger steigt unter den zugrunde gelegten Rahmenbedingungen in allen Szenarien an.
Implikationen des Ziels einer (weitestgehenden) Dekarbonisierung bis 2050
- Trägheiten und lange Lebensdauern berücksichtigen
Notwendig wäre ein absolutes Phase-out fossiler Heizsystem bei neu installierten Heizsystemen mehr oder weniger ab sofort (bis 2020, spätestens 2025). Ohne regulative Eingriffe und akkordierte politische, gesellschaftliche Anstrengung ist das nicht vorstellbar. - Barrieren zur Nutzung erneuerbarer in gewissen Gebäudetypen überwinden
Aktive Adressierung von Mehrfamilienhäusern ohne zentrales Wärmeverteilsystem
Integration der Wärmeverteilsysteme in Gebäudeausweise (Gebäude spezifische Sanierungsfahrpläne) - Allokation der Biomasse zu verschiedenen Sektoren optimieren
Welcher Anteil von Biomasse wird in anderen Sektoren (v.a. auch zur Bereitstellung von Hochtemperatur-Wärme in industriellen Prozessen) benötigt und welcher Anteil steht für Raumwärme und Warmwasserbereitstellung zur Verfügung? - Dekarbonisierung des Strom- und Fernwärmesektors
Strom wird weiterhin – und eventuell verstärkt – eine Rolle in der Wärmeversorgung spielen, v.a. als Hilfsstrombedarf, Wärmepumpen, Power to heat (Wärmesektor als Flexibilitätsoption volatiler erneuerbarer Stromerzeugung).
Fernwärme wird zum bedeutendsten Energieträger mit der Chance, eine raschere Durchdringung erneuerbarer Energie zu erreichen. Bedeutung von niederen Vorlauftemperaturen v.a. im mehrschoßigen Wohnbau. - Thermische Gebäudequalität und erneuerbare Wärme als synergetische Komponenten forcieren
Je besser die thermische Gebäudequalität, desto …
… höher der Anteil des Wärmebedarfs, der mit begrenztem Biomasse-Potenzial abdeckbar ist.
… höher die Arbeitszahlen von Wärmepumpen (und damit der Anteil erneuerbarer Wärme, die durch Wärmepumpen bereitgestellt werden kann)
… höher der erzielbare solare Deckungsgrad.
Je geringer Sanierungsaktivitäten, desto größer der erforderliche Ausbau erneuerbarer Potenziale, mit den damit verbundenen gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen. - Politischer, gesellschaftlicher Konsens, Strategieentwicklung und Ableitung eines akkordierten Maßnahmenplans erforderlich
Fazit & Schlussfolgerungen
- Größere Änderungen in der Energienachfrage ab dem Jahr 2000
Starke Reduktion der CO2-Emissionen durch den massiven Rückgang von Heizöl
Die Sanierungsrate konnte erfolgreich auf 1,5 % – 1,8 % angehoben werden - Langfristig (35 Jahre) zeigen die beschlossenen Maßnahmen (WAM Szenario) in Richtung eines -50 % Energieverbrauchsziel, CO2-Emissionen werden stärker sinken
- Für deutlich höhere Einsparziele (-65 %) eigenen sich Umsetzungsverpflichtungen von ökonomisch zumutbaren Maßnahmen
- Sofern der derzeitige Trend anhält, müsste ca. 2020 ein umfassendes Bündel neuer (WAM plus) Maßnahmen beschlossen werden
- Gebäudepass (Gebäude spezifischer Sanierungsfahrplan) könnte / sollte eine wichtige Rolle einnehmen