Nachhaltig Bauen & Sanieren funktioniert gar nicht – oder doch?

Mit Ergebnissen aus neuesten Studien sowie Fach-Kommentaren von

Renate Hammer, Institute of Building Research & Innovation
Johannes Kislinger, Innovative Gebäude
Günter Lang, Passivhaus Austria
Hildegund Mötzl, Österr. Institut für Bauen und Ökologie IBO

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Es gibt sie tatsächlich, die Vorurteile nachhaltiges Bauen und Sanieren würde gar nicht funktionieren, sprich: den versprochenen Nutzen nicht erbringen. Die Medienstelle für Nachhaltiges Bauen beantwortet diese Fragen im Detail, bringt neue Erkenntnisse aktueller Studien sowie die Fachmeinung namhafter, österreichischer Experten.

Studien belegen Funktionstauglichkeit

Abseits von reinen Berechnungen: Kann die geplante Energieeinsparung bei nachhaltigem Bauen und Sanieren auch in der Praxis erreicht werden? – Diese Frage stellte sich unter anderem die Studie „Auswertung von Verbrauchskennwerten energieeffizient sanierter Wohngebäude“ der deutschen Energieagentur dena 2013, die die Daten von insgesamt 63 thermisch sanierten Gebäuden über mehrere Jahre hinweg untersuchte. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mit einem berechneten Endenergieverbrauch von 223 kWh/(m2a) im Mittel vor der Sanierung und einem prognostizierten Bedarf von 45 kWh/(m2a) im Mittel nach der Sanierung wurde eine Energieeinsparung von 80 Prozent angestrebt. Nach der tatsächlichen Sanierung wurden schließlich im Mittel ein Energieverbrauchskennwert von 54 kWh/(m2a) und eine durchschnittliche Energieersparnis von 76 Prozent erreicht. Im Klartext: Die geplante Energieeffizienz wird auch tatsächlich realisiert.
Für das Passivhaus belegt die aktuelle Studie „Die Energieeffizienz des Passivhaus-Standard“ eine enorme Heizenergieersparnis und damit die Funktionstauglichkeit des Gebäudekonzeptes. Erfasst wurden darin die Messwerte von über 1.800 Wohnungen im Passivhaus-Neubau
und ca. 170 Wohnungen in Sanierungen mit Passivhaus-Komponenten. Das Fazit der Autoren: „Das
Passivhaus-Konzept führt in der Praxis nachweislich und reproduzierbar zu einer sehr hohen Heizenergieeinsparung, die gegenüber dem alten Gebäudebestand etwa 90 Prozent und gegenüber den gesetzlichen Anforderungen an Neubauten immer noch durchschnittlich etwa 80 Prozent beträgt.“
Und auch die aktuelle Studie „Energieszenarien bis 2050 – Wärmebedarf der Kleinverbraucher“ der TU Wien bestätigt nachhaltiges Bauen und Sanieren und zeigt die positive ökologische Auswirkung in der Zukunft. In der Arbeit wurden in mehreren Szenarien alle heimischen Gebäude und künftige Errichtungen einkalkuliert. Fazit: Bei bisher beschlossenen Maßnahmen kann der Energieeinsatz von 86 Terawattstunden TWh im Jahr 2012 auf 53 TWh (2050) gesenkt werden, bei noch ambitionierteren Maßnahmen sogar auf 40 TWh im Jahr 2050.

„Für Passivhäuser liegen langjährige Erfahrungen und statistisch gesicherte Messergebnisse von tatsächlichen Verbrauchswerten vor. Mit diesen Ergebnissen kann die Zuverlässigkeit des Passivhaus-Konzeptes beurteilt werden“, belegt Günter Lang von Passivhaus Austria die Funktionstauglichkeit von Nachhaltigkeit im Bauwesen.

Größter Hebel Sanierung

Auch Hildegund Mötzl, Institut für Bauen und Ökologie IBO bestätigt: „Dass nachhaltiges Bauen und Sanieren funktioniert, wurde in vielen Pilotprojekten nachgewiesen. Auf der Basis der vergangenen Jahrzehnte muss man allerdings auch erkennen, dass die Umsetzungsgeschwindigkeit in der Breite deutlich geringer ist.“ Und sie sichtet Nachhaltigkeit insbesondere in der Sanierung: „Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung sollte in absehbarer Zukunft die Zahl der Gebäude nicht mehr steigen; Neubauten dürfen zunehmend nur noch den Bestand verdichten oder abgerissene Gebäude ersetzen. Nachhaltig Bauen bedeutet daher vor allem nachhaltig Sanieren.“

Bautradition & Nachhaltigkeit

Johannes Kislinger, Innovative Gebäude stellt fest, dass auch Bautradition kein Widerspruch zu Nachhaltigkeit ist: „Alt und Neu müssen einander nicht zwingend im Weg stehen. Nachhaltiges Bauen geht an den Ursprung zurück, setzt dort an, wo Material entsteht – lange bevor sich Routinen über Jahrhunderte festgesetzt und das Neudenken verhindert haben. Gleichermaßen sind beim Nachhaltigen Bauen Handwerk und Technik gefordert, das Einfachste mit dem höchsten Stand der Technik zu vereinen. Einfache, nachhaltige Materialien werden so zu dem hochwertigsten veredelt, was die Errungenschaften von Wissenschaft und Forschung unsere Zeit bieten können.“

Paradigmenwechsel: Was brauchen wir?
Renate Hammer, Institute of Building Research & Innovation stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ziel: „Effizienz ist ein kluges und im Sinne der Nachhaltigkeit unabdingbares Handlungsprinzip, aktuell jedoch konterkariert durch unser stetes Streben nach Mehr. Es braucht einen Paradigmenwechsel, – die Frage lautet nicht, wie viel, sondern was brauchen wir? Nachhaltigkeit bei der gestaltenden Weiterentwicklung unserer Architektur und unserer Lebensräume lässt sich durch die kombinierte konsequente Umsetzung von zumindest fünf Strategien Effizienz, Suffizienz, Subsistenz, Resilienz und Konsistenz erreichen. Die nötige Reduktion heutiger Treibhausgasemissionen um 80 Prozent ist dafür eine veranschaulichende Maßzahl.“